München – live up to your promise! Wir wollen keine leeren Worte, wir wollen Taten sehen!

Bilder und ein Teil Redebeiträge der Seebrücke-Kundgebung am 7. Juli 2020 auf dem Münchner Marienplatz

Zu den Redebeiträgen von

Transparent auf Kundgebung der Seebrücke am 6. Juli 2020 Kundgebung der Seebrücke am 6. Juli 2020 Schild #LeaveNoOneBehind auf Kundgebung der Seebrücke am 6. Juli 2020

Kundgebung der Seebrücke am 6. Juli 2020 Kundgebung der Seebrücke am 6. Juli 2020 Kundgebung der Seebrücke am 6. Juli 2020

(Fotos: Günther Gerstenberg)

Redebeitrag Seebrücke: Warum sind wir heute hier?

Die Seebrücke hat heute zu dieser Kundgebung eingeladen, weil sich die Situation für Geflüchtete an der europäischen Außengrenze – sei es auf dem Mittelmeer, auf Lesvos in Camp Moria oder am Grenzfluss Evros – seit unserer Gründung vor zwei Jahren nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert hat.

Als im Sommer 2018 im zentralen Mittelmeer dem Seenotrettungsschiff Lifeline mit über 200 Menschen tagelang das Einlaufen in einem sicheren Hafen verweigert wurde und darauffolgend die NGO-Schiffe Lifeline, Seawatch 3 und Seefuchs im Hafen auf Malta mit verschiedenen Konstrukten blockiert und kriminalisiert wurden, formierte sich die zivilgesellschaftliche Bewegung Seebrücke.

Wir solidarisieren uns mit allen Menschen auf der Flucht und erwarten von der deutschen und europäischen Politik sofort sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind – kurz: Weg von Abschiebung und Abschottung und hin zu Bewegungsfreiheit für alle Menschen.

Anfang Juli 2018 veranstaltete auch die Seebrücke München ihre erste Demonstration. Seit dem ist viel in der Stadt zum Thema Seenotrettung passiert, aber leider nicht genug!

Mit dem Schwung des ersten lokalen Solidarity City Kongress haben wir es letzten Sommer geschafft mit engagierten Kommunalpolitiker*innen einen erfolgreichen Stadtratsbeschluss auf den Weg zu bringen. Seit dem 18. Juli 2019 bezeichnet sich München nun offiziell als Sicheren Hafen. Mit Hilfe des Kinder- und Jugendausschusses konnte dieser im vergangenen Dezember sogar um eine Patenschaft für das Rettungsschiff Ocean Viking erweitert werden.

Leider müssen wir aber erkennen, dass sich bis jetzt kaum etwas praktisch in München geändert hat.  Tatsache ist, dass es immer noch kein kommunales Aufnahmeprogramm für aus Seenot gerettete Menschen gibt.

Die ständige Behauptung, das solch ein Unterfangen nicht im juristischen Hoheitsgebiet einer Kommune liege, ist nicht mehr als eine billige Ausrede! München ist Landeshauptstadt; München ist wohlhabend; es ist einflussreich in Bayern und der ganzen Republik – da erwarten wir einfach mehr – mehr Mut, mehr Transparenz und ein klares Zeichen gegen ein rassistisches Grenzregime.

Ein Konvoi mit Spenden kann Geflüchteten ihre Würde genauso wenig zurückgeben wie eine schriftliche Solidaritätsbekundung. Was wir brauchen sind konkrete Akte der Solidarität und mutige Politiker*innen. Gemeinsam können wir Konzepte der kommunalen Aufnahme weiterentwickeln und auf Landes- sowie Bundesebene voranbringen. So wollen wir unsere Stadtgesellschaft aktiv mit gestalten und für ein offenes, solidarisches München eintreten.

Heute wollen wir diesen unfertigen Prozess ein Stück weiter voranbringen. Hierfür haben wir  engagierte Leute eingeladen, die von ihrem Leben und ihrer Arbeit berichten werden. Wir haben auch einige Kommunalpolitiker*innen der Grünen und der Linken eingeladen.

München – live up to your promise! Wir wollen keine leeren Worte, wir wollen Taten sehen!

 

Redebeitrag von Costas Gianacacos (Griechisches Haus)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Seit einigen Monaten und Wochen, mit dem Höhepunkt Anfang März dieses Jahres, werden wir Zeugen einer zügellosen Hysterie in Griechenland! Die Flüchtlinge kommen! Und sie bedrohen die Existenz Griechenlands und zugleich des gesamten Abendlandes. Ob an der griechisch-türkischen Grenze oder an den Küsten der ostägäischen Inseln! Gerade dort wo die europäischen Grenzen verteidigt werden müssen! Wer aber greift Europa und auch Griechenland an? Es sind die Opfer von Krieg und Gewalt, Opfer der Armut, Menschen, die in Europa Zuflucht suchen, da hier nach wie vor Frieden herrscht! Die Corona-Pandemie hat allerdings das Schicksal von Tausenden von Flüchtlingen für eine lange Zeit, für vier Monate nun, von der ersten Nachrichten in den Medien verdrängt. Auch wenn wir oft nur das sehen wollen, was uns passt, und das was uns nicht passt übersehen oder sogar verdrängen, heißt nicht, dass die Flüchtlinge nicht mehr existieren. Die Realität ist diesbezüglich gnadenlos!

Was die Flüchtlinge angeht, erleben wir in psychotischer Manier, dass Xenophobie und Rassismus als Hauptthemen in den Medien bleiben. Hier heißt es, in Griechenland werden, ich wiederhole mich, die europäischen Grenzen verteidigt. Dies schließt zugleich auch die Verteidigung der europäischen Kultur mit ein. Unsere Sprache sogar entblößt uns, ihre Verrohung stellt von sich aus unsere Kultur in Gefahr. Sogar das Christentum gerät in Gefahr, weil die Ankömmlinge wahrscheinlich einer anderen Religion angehören! Die Themen Flucht, Vertreibung und Armut werden zunehmend ideologisiert. Nein, nicht die Flüchtlinge sind die Gefahr. In einem Klima der nationalistischen Übertreibungen wird der öffentliche Diskurs vom Kriegsgeschrei und Angriffen gegen alle humanistischen Werte bestimmt. Wir hören wie unschuldige Kinder, Frauen auf der Flucht verbal eliminiert werden, weil angeblich unser Land angegriffen wird! Wer greift hier wen an? Unwürdige Szenen erreichen uns von der griechisch-türkischen Grenze, die man aus Kalkül plötzlich zur europäischen Außengrenze erklärt. Wer steht hier wem gegenüber?! Auf der einen Seite Menschen in Not, Flüchtlinge, auf der anderen die griechische Armee, die Polizei und Frontex… Sowie selbernannte patriotische Retter des Abendlandes…

Dass der türkische Präsident mit Kalkül handelt, stimmt. Seinerseits bleibt die Instrumentalisierung von Flüchtlingen brutal. Das kann allerdings die Aussetzung der Asylgesetze in Griechenland oder der versteckten, gewaltsamen und illegalen Rückführungen von Migranten in die Türkei, das Verhalten Griechenlands und folglich Europas nicht legitimieren. Auch hier muss das Recht auf Asyl Vorrang genießen. An der griechisch-türkische Grenze, entlang des Flusses Evros tauchen oft neben Armee und Polizei, plötzlich „aus dem Nichts“, bewaffnete Bürgermilizen auf, um die europäische Außengrenze in entsprechend patriotischer Manier zu schützen! Hier liegt die Gefahr! Man darf nicht übersehen, dass die Europäische Union und Griechenland insbesondere, hier gegen die Genfer Konvention handeln, dass der Rechtsstaat, auf den wir stets in Europa mit Stolz im Vergleich mit anderen Gegenden hinweisen, bewusst könnte man meinen, nicht existiert.

In den letzten Tagen versucht die Polizei in Athen den Viktoria-Platz, bekannt als Treffpunkt unter den Flüchtlingen, zu räumen und setzt alle Mittel ein. Hier treffen sich traditionell Menschen aus dem Orient oder aus Afrika, sobald sie in Athen ankommen. Im Zuge der Entlastung der Inseln, zum Beispiel in Moria auf Lesvos leben nach wie vor von 18.000 Menschen unter wirklich unmenschlichen und unwürdigen Bedingungen, kommen die Menschen zum Festland an. Und die Hauptadresse bleibt Athen.

Seit Ende Juni werden Flüchtlinge fast zu Freiwild erklärt, in dem sie die Unterkünfte verlassen müssen, und dies ohne entsprechende Vorkehrungen. Konkret: wer als Asylsuchender anerkannt wird, darf nicht mehr in den Sammelunterkünften bleiben. Mehr als 10.000 Menschen, wieder Kinder und Frauen bilden hier die Mehrheit, werden so auf die Straße gesetzt. Die Behörden sind nicht in der Lage, den Menschen, außer einer Bestätigung der Anerkennung des Rechts auf Asyl, die entsprechenden Unterlagen auszuhändigen, damit sie nun frei bewegen können. Das ist schikanös! Ich habe in den letzten Tagen oft von München aus mit solchen Fällen zu tun, wir versuchen in unzähligen Gesprächen mit Bekannten und Freunden eine Bleibe für die Familien zu organisieren. Glücklicherweise schaffen wir es öfters! Die griechische Zivilgesellschaft, fast in Opposition zur behördlich- staatlichen Taktik, reagiert menschlich. Zeigt ihre Kultur! Aber die Situation wird insgesamt langfristig nicht besser.

Sie haben sicher gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen, von den geschlossenen Zentren, also KZ ähnliche Strukturen, die installiert werden, um Flüchtlinge unterzubringen! Oder vom  Zaun im Meer zwischen der türkischen Küste und der Insel Lesvos. Kann Griechenland von sich aus solche Kosten aufbringen? Wer steht dahinter, wer sollte das bezahlen, wenn nicht letztlich die Europäische Union? Ist der berühmte europäische Steuerzahler einverstanden mit solchen Ausgaben? Wie aber geht dies mit unseren Werten zusammen? Als ob diese für Flüchtlinge nicht gelten dürfen! Und welche Werte werden somit verteidigt?

Ich finde solche Kundgebungen wie heute hier sehr wichtig! Deutschland hat bis Ende des Jahres die EU-Präsidentschaft. In Berlin wird nun die Tagesordnung bestimmt. Wir müssen hier alle miteinander die Erfüllung unserer Forderungen, eigentlich auf die Verteidigung des Rechts in Europa, bestehen. Jedes Land, entsprechend seiner Bevölkerung und seiner Wirtschaftskraft muss Flüchtlinge aufnehmen. Das muss und kann Europa schaffen. Voraussetzung natürlich wir wollen es! Wir, die uns hier versammelt haben, wollen es!

Das Problem Griechenlands und infolgedessen auch Europas sind nicht die Flüchtlinge! Schuld an der Wirtschaftskrise sind nicht die Flüchtlinge! Die Arbeitslosigkeit oder die Abschaffung des Rechts auf Arbeit, des Rechts auf gesundheitliche Versorgung, auf Bildung, auf ein sicheres Dach über den Kopf, Wohnen genannt, gehen nicht von den Flüchtlingen aus! Speziell in Griechenland sind nicht die Flüchtlinge schuldig für eine unvorstellbare Schuldenkrise, die wir immer noch erleben und die für Jahrzehnte noch das gesellschaftliche Leben zur Lähmung zwingt! Nicht die Flüchtlinge sind der Grund, warum bis ca. halbe Million junge Menschen das Land verlassen haben! Ein durch und durch politisches und gesellschaftliches Problem, den Kriegen geschuldet, kann nicht mit der Einsetzung der Ordnungskräfte gelöst werden. Das mündet in die Barbarei. Und das belegen die Tote an der  griechisch-türkischen Grenze und die Ertrunkenen in den Fluten der Ägäis.

Die Flüchtlinge, ob aus Syrien, Afghanistan, Irak oder aus Afrika, Wirtschaftsflüchtlinge nennen wir sie zynisch und euphemistisch zugleich, sind Opfer einer gewaltigen Auseinandersetzung, die zwischen reich und arm weltweit seit Jahrzehnten stattfindet! Sie sind Opfer kalkulierter Vertreibung, weil sie als Bevölkerungen zum Hindernis für knallharte ökonomischen Interessen erklärt werden. Ohne Scham und Moral wird da von der Durchsetzung geostrategischer Interessen palavert. Wer ist letztendlich der Nutznießer aller Kriege? Wer hat die Macht? Was macht die Europäische Union, USA, oder Russland? Die Liste der Oligarchen der Macht, Profiteure des Krieges ist lang, sehr lang…

Der Feind ist nicht der Mensch auf der Flucht. Heute sind diese Menschen die Opfer! Unser System, hungrig nach Ressourcen, nach Energie, nach Profit, ist inzwischen entfesselt! Und wir werden gezielt desorientiert, gezielt manipuliert, entzweit, eingeschüchtert. Solidarität und Hilfe, Humanität Flüchtlingen gegenüber, unser Einsatz für Frieden, für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – müssen nie aufhören, weil dadurch unser demokratisches System verteidigt wird, weil diese Werte insgesamt unser Schutzschild bleiben… Wir müssen wachsam bleiben und bereit sein, Widerstand zu leisten gegen jegliche Angriffe auf die Humanität, auf die Demokratie und auf die Menschenrechte, die bekanntlich auch für Flüchtlinge gelten!

Costas Gianacacos

München, 6.7.20

 

Redebeitrag von Hannah Sommer vom Münchner Flüchtlingsrat

Wenn wir vom Münchner Flüchtlingsrat von humanitären Aufnahmeprogrammen sprechen, z.B. im Rahmen unserer Fortbildungen betonen wir immer, dass es sich dabei um sichere Zugangswege für Geflüchtete handelt und nicht „legale“. Auf politischer Ebene wird hier oft von Legalität gesprochen. Dies rückt aber Menschen, die Asyl beantragen und nicht über Aufnahmeprogramme kommen, in die Ecke der „illegalen Einreise“. Dabei muss ganz klar gesagt werden: die Genfer Flüchtlingskonvention kennt keine illegale Einreise.

Welche sicheren Zugangswege gibt es also für Geflüchtete? Global betrachtet gibt es Resettlement, in Deutschland gibt es auf Bundesebene das Humanitäre Aufnahmeprogramm für syrische Geflüchtete aus der Türkei und auf Landesebene Aufnahmeprogramme der einzelnen Bundesländer. Ein wesentlicher Unterschied zwischen humanitären Aufnahmeprogrammen und Asyl besteht darin, dass es ein individuelles Recht auf Asyl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gibt. Ob und in welcher Form Staaten sich an humanitären Aufnahmeprogrammen beteiligen, ist jedoch freiwillig.

Humanitäre Aufnahmeprogramme mit dem Ziel, Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten aufzunehmen, haben in Deutschland bereits eine lange Tradition. Die Ausgestaltung der Aufnahmen war und ist sehr unterschiedlich. Angefangen  im Jahr 1956 wurden damals im Zuge des ungarischen Volksaufstandes 13.000 ungarische Geflüchtete nach Deutschland aufgenommen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden nach dem Vietnam-Krieg knapp 40.000 vietnamesische Geflüchtete aufgenommen; in den 1990er Jahren  350.000 Bürgerkriegs-Geflüchtete aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien. Im Jahr 2009 gab es zum ersten Mal eine Aufnahme nach Deutschland unter Beteiligung des UNHCR: 2.500 irakische Geflüchtete, die aus Syrien aufgenommen wurden. Nach diesen ad-hoc-Aufnahmen stieg Deutschland im Jahr 2011 in ein kontinuierliches Resettlement-Programm mit einem jährlichen Kontingent an aufzunehmenden Personen ein. 2015 wurde ein eigener Aufenthaltstitel für Resettlement-Geflüchtete eingeführt.

Resettlement wird vom UNHCR als zusätzliches Schutzinstrument für besonders vulnerable Geflüchtete charakterisiert und bedeutet die Neuansiedlung in einen aufnahmebereiten Drittstaat. Die Personen sind also bereits in einem Erstzufluchtsland und werden von dort aus in einen Drittstaat aufgenommen. Um für Resettlement in Frage zu kommen, müssen Personen bestimmte Kriterien erfüllen, die vom UNHCR aufgestellt werden, z.B. handelt es sich bei den Aufzunehmenden um Menschen, die aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden oder zum Opfer von Gewalt und Folter wurden. Der UNHCR erstellt jährlich einen Bericht zu dem globalen Bedarf an Resettlement-Plätzen, dieser Bedarf steigt jedes Jahr. Für das Jahr 2020 schätzt der UNHCR für 1.44 Millionen Geflüchtete einen Resettlement-Bedarf. Da die Teilnahme von Staaten am Resettlement-Programm auf Freiwilligkeit beruht, wird der von UNHCR ermittelte Bedarf jedes Jahr nur zu einem Bruchteil gedeckt – letztes Jahr nur zu ca. 5%.

Obwohl Resettlement vom UNHCR als zusätzliches Schutzinstrument bezeichnet wird, hat Deutschland sein Aufnahmekontingent von 5.100 Personen für das Jahr 2019 in den sogenannten „Aufnahmekorridor“ von 180.000 bis 220.000 Asylsuchenden pro Jahr eingerechnet. Mit der aktuellen Ausgestaltung des deutschen Resettlement-Programmes geht also doch eine Aufrechnung von Asyl und Resettlement einher. Dadurch und durch die nationalstaatliche Entscheidungsmacht hinsichtlich der Aufnahmebedingungen droht Resettlement zu einem Instrument der Migrationskontrolle zu werden und verkennt damit den Grundgedanken eines zusätzlichen Schutzinstrumentes. Ähnlich ist es auf EU-Ebene: so heißt es in Bezug auf das EU Resettlement Framework, dass Resettlement dazu beitragen soll, „irreguläre“ Migration zu reduzieren, indem sichere und „legale“ Alternativen geschaffen werden. Das verkennt wie anfangs bereits erwähnt, dass es erstens nach der Genfer Flüchtlingskonvention keine „illegale“ Einreise gibt und zweitens, dass der Bedarf an Resettlement um ein Vielfaches höher ist als auch die innerhalb des EU-Rahmens bereit gestellten Plätze.

Während also nur ein Bruchteil geflüchteter Menschen über Resettlement in die EU aufgenommen wird, findet gleichzeitig eine Abriegelung der EU-Außengrenzen und die Finanzierung der sogenannten libyschen Küstenwache statt, die Menschen zurück in Folterlager zwingt. Seenotrettung wird kriminalisiert. Regierungen rühmen sich mit humanitären Taten durch Aufnahmeprogramme, die – wie das Beispiel Griechenland zeigt – gleichzeitig dafür sorgen, dass andere Menschen unter extrem prekären Bedingungen jahrelang in überfüllten Lagern ausharren müssen. Diese Situation ist ein Resultat des EU-Türkei-Deals aus dem Jahr 2016. Dessen Ziel ist es, „irreguläre“ Migration aus der Türkei in die EU einzudämmen. So sieht das Abkommen vor, Geflüchtete, die „irregulär“ in Griechenland ankommen, in die Türkei zurückzuführen. Faktisch sitzen zehntausende Menschen seit Jahren auf den griechischen Inseln fest. Dafür nimmt die EU syrische Geflüchtete aus der Türkei auf: dies ist auch der Hintergrund des aktuellen Bundesprogrammes in Deutschland, das Humanitäre Aufnahmeprogramm für syrische Geflüchtete aus der Türkei, durch das bis zu 500 Personen pro Monat aufgenommen werden. Auch diese Aufnahmen werden in das EU-Resettlement von 5.500 Personen für das Jahr 2020 mit eingerechnet. Die Aufnahmen aus der Türkei sind also an die Idee von Abschiebungen gekoppelt und erschweren individuelle Asylzugänge in die EU weiter.

Resettlement und andere humanitäre Aufnahmeprogramme müssen aber ausschließlich eine Ergänzung zur Möglichkeit des individuellen Asylgesuchs sein und dürfen nicht zum Zweck der Migrationskontrolle missbraucht werden. Die Zahl der Menschen auf der Flucht  steigt jedes Jahr. Deswegen müssen die Resettlement-Quoten und die Quoten der anderen humanitären Aufnahmeprogramme deutlich und dauerhaft erhöht werden.

Neben der bundesweiten Aufnahme gibt es auch Länderprogramme, über die bisher insbesondere syrische Schutzsuchende nach Deutschland kommen konnten. Für die Einrichtung eines Landesaufnahmeprogrammes ist grundsätzlich eine politische Entscheidung des jeweiligen Landtages sowie die Zustimmung des Bundesinnenministeriums nötig. Während zeitweise 15 Bundesländer über Ländererlasse Geflüchtete aufnahmen, hat Bayern bisher als einziges Bundesland noch nie ein Landesaufnahmeprogramm eingerichtet. Aktuell gibt es Initiativen vieler Bundesländer, so hat beispielsweise der Berliner Senat beschlossen, 100 schutzbedürftige Personen pro Jahr aufzunehmen. Die Berliner Regierung hat beschlossen 300 Personen von Lesbos aufzunehmen, die Aufnahmeanordnung hierfür wurde offenbar dem Bundesinnenministerium vorgelegt. Um eine Aufnahme, beispielswiese aus Griechenland, möglich zu machen, werden neue Ansätze zur Anwendung des §23. Abs. 1 Aufenthaltsgesetz diskutiert. Auch in Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig Holstein und Thüringen gibt es zum Teil bereits Beschlüsse und Entwürfe für Aufnahmeverfügungen für die Aufnahme von schutzbedürftigen Personen. Aktuell blockiert das Bundesinnenministerium allerdings diese Vorstöße der einzelnen Bundesländer. Umso wichtiger ist es, hier den Druck weiter auszubauen. Ein Landesaufnahmeprogramm kann ein erster Schritt sein, um die Situation für einige Menschen zu verbessern. Darum muss endlich auch Bayern ein Landesaufnahmeprogramm einrichten.

Diese Woche stimmt der bayerische Landtag über einen Antrag der Grünen zu einem bayerischen Landesaufnahmeprogramm für 500 Personen aus den Lagern auf Lesbos ab. Im Land Bayern gibt es Aufnahmekapazitäten, allein in der Stadt München haben Träger der Jugendhilfe signalisiert, dass bis zu 120 unbegleitete Minderjährige aufgenommen werden können. Bayernweit haben sich bereits 14 Kommunen zu sicheren Häfen erklärt. Die Bereitschaft auf kommunaler Ebene ist also da, nun müssen endlich auf Landes- und Bundesebene entsprechende politische Entscheidungen getroffen werden.

Dabei ist zu beachten, dass aufgrund der Corona-Pandemie seit 17. März 2020 Resettlement und das Humanitäre Aufnahmeprogramm aus der Türkei bis auf Weiteres ausgesetzt sind. Es ist zu erwarten, dass die Aufnahmen erst nächstes Jahr weitergehen werden.

Die Schutzbedürftigkeit aller in Flüchtlingslagern ausharrender Menschen steigt aber gerade in der aktuellen Situation einer globalen Pandemie um ein Vielfaches.

Symbolisch werden wir vom Münchner Flüchtlingsrat morgen zusammen mit der Seebrücke München, der Karawane München und dem Bayerischen Flüchtlingsrat eine 24-stündige Mahnwache für die Aufnahme von Geflüchteten von den griechischen Inseln abhalten. Die Mahnwache findet von Dienstag 10 Uhr bis Mittwoch 10 Uhr mit Blick auf den bayerischen Landtag statt, in dem am Mittwoch über ein Landesaufnahmeprogramm abgestimmt wird.

 

Rede von Marie von der NGO Mare Liberum

Ich war gerade 5 Monate auf Lesvos auf dem Schiff Mare Liberum und würde euch gerne von der Situation vor Ort berichten. Die Mare Liberum ist eine NGO, die Menschenrechtsbeobachtungen auf der Ägäis macht. Normalerweise wären wir seit Mai auf Mission, können allerdings nicht rausfahren, da das BMVI, das deutsche Verkehrsministerium durch eine Gesetzesänderung bewirkt hat, dass wir und andere Seenotrettungs-NGOs unsere Zulassung als Sportboot verlieren. Dadurch werden wir faktisch blockiert, da die neuen Sicherheitsbestimmungen kaum erfüllbar sind. Und dabei wäre es gerade jetzt wichtiger als jemals zuvor, dass ein unabhängiges, ziviles Auge da draußen ist.

Die Situation auf dem Mittelmeer ist derzeit nämlich gelinde gesagt katastrophal. Seit Anfang März, nachdem Erdogan die Grenzen geöffnet hat und tausende Menschen gewaltvoll an die europäischen Grenzen drängte, berichtet das Alarmphone – eine Notfalltelefonnummer für Flüchtende, die sich auf dem Meer in Seenot befinden – von Menschenrechtsverletzungen in 100 % der Fälle in der Ägäis.

Nur ganz wenige Boot schaffen es noch die Ägäis zu überqueren. Die griechische Küstenwache, das Militär und Frontex haben ein enges militärisches Netz geschaffen um Flüchtende davon abzuhalten griechische und damit europäische Gewässer zu erreichen. Schaffen Sie es trotzdem, berichten Flüchtende, dass sie von der griechischen Küstenwache angegriffen, von maskierten Männern in Schnellbooten geschlagen, auf sie geschossen, ihre Motoren zerstört und die Schläuche der Boote aufgeschlitzt wurden. Oft treiben die Boote stundenlang manövrierunfähig auf See während sowohl die griechische als auch die türkische Küstenwache vor Ort sind. Häufig versucht die griechische Küstenwache treibende Boote durch gefährliche Manöver zurück in türkische Gewässer zu ‚spülen‘, wo die türkische Küstenwache wiederum versucht das Boot zurück auf die griechische Seite zu drängen. „Greek Waterpolo“ wird das mittlerweile auch bittersarkastisch genannt.

Und solche widerlichen und unmenschlichen Praktiken, wo Menschen zum Spielball verfehlter europäischer Politik werden, sind mittlerweile zur Normalität auf dem Mittelmeer geworden. Wir wissen von mindestens 20 Fällen wo Flüchtende in Rettungsinseln gezwungen und zurück aufs Meer gezogen wurden. Oder von Menschen, die bereits Land erreicht hatten und dann verschwanden und später wieder auf einer unbewohnten türkischen Insel auftauchten. Sogenannte Pushbacks verstoßen gegen internationales Recht und die Genfer Menschenrechtskonvention.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es sich dabei um Boote handelt, die voller Menschen sind, die auf der Flucht vor Krieg und Gewalt sind und die gefährliche Überfahrt in seeuntauglichen Schlauchbooten ihre einzige Möglichkeit ist Asyl in Europa zu beantragen.

Überlebende haben uns berichtet, dass sie von einem Schiff der griechischen Küstenwache immer wieder gerammt wurden und die Mannschaft mit langen Stöcken auf sie einschlug. Einige der Frauen im Boot haben daraufhin ihre Kinder hochgehalten, in der Hoffnung, dass die Küstenwache aufhören würde. Ohne Erfolg. Sie haben weitergeprügelt.

Und das passiert gerade an den europäischen Außengrenzen. Und zwar täglich.

Am 13. Juni beispielsweise trieb ein Boot mit 32 Flüchtenden, darunter 11 Kinder und 11 Frauen, eine davon hochschwanger, nach einem Angriff der griechischen Küstenwasser vor der Küste von Lesvos. Während sie verzweifelt versuchten das eintretende Wasser zu stoppen und mit bloßen Händen Richtung Land zu paddeln, schauten die griechische und türkische Küstenwache mal wieder nur zu. Über Social Media begannen die Menschen im Boot in kurzen Videos um Hilfe zu flehen: „No one cares about our lives, if we live or die. We are victims oft the political power games between Greece and Turkey.“ Trotzdem wurde keine Rettung eingeleitet.

Dann setzten die Wehen bei der schwangeren Frau ein. Bilder zeigten wie sie zusammengekrümmt auf dem Boden des kleinen Schlauchbootes lag. Als die Frau anfing Blut zu verlieren und ohnmächtig wurde, bettelten die Menschen in Panik, dass zumindest die Frau gerettet werden sollte. Küstenwache und Frontex waren informiert, aber weigerten sich nach wie vor einzugreifen. Erst nach über 15 Stunden würden die Menschen gerettet und nach Lesvos gebracht.

Das passiert derzeit an den europäischen Außengrenzen. Und zwar jeden Tag.

In den letzten zwei Wochen sind zwei Boote mit jeweils 30 Menschen vor der Küste von Lesvos verschwunden und ein Boot, das mal wieder angegriffen, dessen Motor zerstört und dessen Schläuche aufgeschlitzt wurde, sank, wobei 4 Menschen ertranken. Vier Menschen von denen wir noch nicht mal die Namen kennen, um ihrer gedenken zu können.

Das passiert an den europäischen Außengrenzen. Und zwar jeden Tag.

Und die europäische Politik? Sie schweigt zu diesen systematischen Menschenrechtsverletzungen. Nur einen Tag, nachdem an der türkisch-griechischen Grenze wahrscheinlich zwei, eventuell drei Menschen erschossen wurden, hatte Ursula von der Leyen kein Wort des Beileids übrig. Stattdessen lobte sie die griechischen GrenzschützerInnen noch für ihren Einsatz. Und Horst Seehofer forderte erst vor kurzem eine „massive“ Aufstockung von Frontex, der europäischen Grenzschutzorganisation.

Heute am 6.Juli wird übrigens im Meer vor Lesvos ein 2,7 km langer, schwimmender Zaun errichtet, um Flüchtende aufzuhalten. Und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein schwimmender Grenzzaun! Ein Zaun im Meer! Dieses Ding wird niemanden davon abhalten in seeuntaugliche Boote zu steigen. Aber es zwingt Menschen auf noch längere und unsichere Routen. Und wahrscheinlich werden mehr Menschen sterben.

Und wenn Flüchtende entgegen aller Widrigkeiten es doch nach Lesvos schaffen, müssen sie erstmal in 14-tägige Quarantäne. Mal in einem Schulbus untergebracht, mal unter Planen am Strand, mal in einem abgelegenen Camp ohne Strom und fließend Wasser.

Und dann kommen Sie nach Moria. Dieser Ort ist an Menschenverachtung kaum zu überbieten. Das ursprüngliche Militärcamp ist für 2600 Menschen ausgelegt. Zwischenzeitlich lebten rund 21000 Geflüchtete dort. Obwohl ich gar nicht ‚leben‘ sagen will. Das ist kein Leben. Teilweise schlafen die Menschen in Zelten, mit denen wir noch nicht mal auf ein Festival fahren würden. Wenn es regnet werden die Trampelpfade zu schlammigen Bächen. Wenn es heiß ist, heizen sich die Zelte bis zur Unerträglichkeit auf. Der Müll ist überall und stinkt bestialisch. Fließend Wasser gibt es nur wenige Stunden am Tag an zentralen Wasserstellen.

Und für alles in Moria muss sich angestellt werden. Für jede Mahlzeit steht man bis zu vier Stunden in der Schlange und wenn es schlecht läuft, was oft der Fall ist, dann gibt es zum Frühstück nur eine Orange, die oft auch noch verschimmelt ist. Alle sind ständig krank. Ich habe ein Kind getroffen, das Windpocken und Krätze gleichzeitig hatte, aber die Mutter keine Zeit hatte sich in die Schlange für das Krankenhaus anzustellen, weil sie in der Essensschlange für ihre anderen Kinder stehen musste. Das ist Europa im Jahre 2020.

Und während Griechenland die Corona bedingten Einreisebeschränkungen aufgehoben hat und den Tourismus heftig bewirbt, ist der Lockdown für Moria, bereits das fünfte Mal verlängert worden. So sieht struktureller Rassismus aus.

Gestern Nacht ist ein Mensch nach einem Konflikt in Moria langsam verblutet, weil der Krankenwagen zu lange brauchte. Sein Name war Karamoko und er kam aus dem Kongo. Nach 18 Uhr und an Wochenenden gibt es nämlich keine medizinische Versorgung in Moria.  Heute Mittag gab es deswegen Proteste, woraufhin die Polizei mit kompletter Kampfausrüstung Tränengas im Camp versprüht hat. Und Tränengas ist eine miese Nummer. Es wabert die engen Gassen zwischen den Zelten hindurch und dringt in die Container und Zelte.

Und das ist der Alltag von Menschen, die Schutz in Europa suchen.

Gestern habe ich noch mit einer Freundin in Moria geschrieben und ihr erzählt, dass ich hier heute Reden werde. Sie schrieb mir: „Please, tell Germany to help us. Please, we need help. Moria is hell. We have no security. We want freedom.“

Und heute erreichte mich während der Proteste in Moria folgende Nachricht: „I would rather live in a world of savages than humans. I regret being in this unfair world. It is better to live in a country of war than Moria where even dogs are more valued than us…”

Das ist derzeit die Situation auf und um Lesvos. Und das ist nur eine winzige Region an Europas Außengrenzen. Gar nicht zu reden von den täglichen Verbrechen auf der Balkanroute, bei Malta, im Zentralen Mittelmeer, in Libyschen Foltercamps. Die Festung Europa schotten sich mehr und mehr ab und will Flüchtende lieber Tod als in Europa sehen.

Und deshalb braucht es ein breites solidarisches Bündnis, das einen so immensen Druck auf die Politik ausübt, dass es unmöglich sein wird das Thema weiter totzuschweigen.

Wir fordern deshalb:

  • Die Evakuierung aller griechischen Lager
  • Ein Ende der Hotspot Politik
  • Ein Ende der Gewalt an den europäischen Außengrenzen
  • Ein Ende der Kriminalisierung von zivilen SeenotretterInnen
  • Sichere Fluchtrouten und Bewegungsfreiheit für alle.
  • Freedom of movement is everybodys right.